Genderaspekte in Horizont Europa
Im Rahmenprogramm Horizont Europa wird Genderaspekten ein größerer Stellenwert beigemessen als in früheren Rahmenprogrammen. Die Europäische Kommission widmet dem Thema eine eigene Website. Hier ein kurzer Überblick zu den genderbezogenen Anforderungen einschließlich Hinweisen, wo und wie dies bei der Antragstellung zu berücksichtigen ist. Zu den erstgenannten beiden Punkten gibt es auch ein eigenes Faktenblatt der Europäischen Kommission (nur auf Englisch verfügbar; aktuelle Version von Juni 2021).
Teilnahmevoraussetzung: Gleichstellungsplan (Gender equality plan, GEP)
Ab 2022 sind alle öffentlichen Einrichtungen einschließlich Hochschulen und Forschungseinrichtungen verpflichtet, einen Gleichstellungsplan zu haben. Andernfalls sind sie nicht mehr förderfähig. Formal muss er folgende vier Elemente umfassen:
- Publikation: formales Dokument, auf der Seite der Einrichtung veröffentlicht und von der Einrichtungsleitung unterschrieben (es darf sich jedoch auch um mehrere Dokumente handeln, und die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente kann auch auf das Intranet beschränkt sein; siehe weiter unten).
- Fest eingeplante Ressourcen: Personalressourcen und Gender-Expertise zur Umsetzung.
- Datenerhebung und Monitoring: nach Geschlecht disaggregierte Daten zum Personal (und wo zutreffend auch zu Studierenden) sowie jährliche Berichterstattung auf Basis von Indikatoren.
- Training: Bewusstmachung / Trainings zu Geschlechtergleichheit und unbewussten Vorurteilen für Personal und Führungskräfte.
Ferner wird empfohlen, dass der Gleichstellungsplan folgende Inhalte abdeckt und mittels konkreter Maßnahmen und Ziele angeht:
- Verhältnis von Arbeit und Freizeit (work-life balance) und Organisationskultur
- Ausgewogenes Geschlechterverhältnis in Führung und Entscheidungsfindung
- Geschlechtergerechtigkeit bei Einstellung und Karriereentwicklung
- Integration der Gender-Dimension in Forschungs- und Lehrinhalt
- Maßnahmen gegen geschlechtsbasierte Gewalt einschließlich sexueller Belästigung
Zu den Gender Equality Plans (GEPs) gibt es diverse Hilfestellungen: durch eine Handreichung der Europäischen Kommission zur Erstellung von GEPs, aber auch durch zuvor strategisch eingerichtete EU-Projekte:
- GEAR Tool
- Communities of practice on GEPs: ACT
- Training on GEPs and gender equality issues in R&I: GE Academy
- Evaluation framework and designing tools for gender equality measures in R&I: EFFORTI
Hier können Sie die Anforderungen der Europäischen Kommission dazu nachlesen; dort werden auch entsprechende häufig gestellte Fragen beantwortet. So wird zum Beispiel erklärt, dass es auch genügt, wenn es verschieden Dokumente gibt, die in Summe die oben genannten Anforderungen abdecken. Und es müssen auch keine vertraulichen Inhalte im öffentlich zugänglichen Internet publiziert werden; wenn die für alles Mitarbeitenden relevanten Information im jeweiligen Intranet zugänglich sind.
Bei der Antragstellung muss nur im Formularteil A 2 (Participants) entsprechend angekreuzt werden, ob die Einrichtung über einen Gleichstellungsplan verfügt oder nicht. Dessen Vorhandensein kann im Laufe des Projekts mittels eines sogenannten "compliance checks" überprüft werden. Liegt er entgegen aller Angaben nicht vor, wird dies zu einem Ausschluss der jeweiligen Partnereinrichtung aus dem Projekt führen. Je nach Bedeutung der Einrichtung für das Projekt kann dies in der Konsequenz auch ein Scheitern des Projekts zur Folge haben.
Bewertungselement: Gender-Dimension in Forschung/Innovation integrieren
Im Strategischen Plan 2021 - 2024 ist festgelegt: "Gender equality is a cross-cutting priority in Horizon Europe and concerns all programme parts. […] and the integration of the gender dimension will be a requirement by default in research and innovation content across the whole programme, unless its nonrelevance is duly justified. This integration is particularly relevant for global challenges […] in which sex and/or gender differences play an important role, and hence determine the societal relevance and quality of research and innovation outcomes."
Dementsprechend wird die angemessene Berücksichtigung der Gender-Dimension im Forschungsinhalt als ein Element der wissenschaftlichen Exzellenz gesehen und muss mithin im Antragsteil zu Exzellenz (1.2 Methodology) behandelt werden. Dort wird aufgefordert:
"Describe how the gender dimension (i.e. sex and/or gender analysis) is taken into account in the project’s research and innovation content [e.g. 1 page]. If you do not consider such a gender dimension to be relevant in your project, please provide a justification."
Es ist also nun für jegliche Projekte innerhalb von Horizont Europa unabdingbar, sich des Themas anzunehmen. Selbst wenn es wirklich keine Rolle spielt, muss dies nachvollziehbar dargelegt werden; die alleinige Aussage, Genderaspekte seien hier irrelevant, wird nicht ausreichen.
Tipps, konkrete Erläuterungen und detaillierte Fallbeispiele, inwieweit die Gender-Dimension im Forschungsinhalt eine Rolle in verschiedenen Themenfeldern geben kann, gibt es auf folgenden Seiten:
Gendered Innovations 2 | European Commission (europa.eu)
Ferner ist im Antrag im Teil Implementation unter 3.2 (Capacity of participants and consortium as a whole) anzugeben, inwieweit das Konsortium insgesamt Expertise zu Genderaspekten in Forschung und Innovation mitbringt.
Ranking-Kriterium: ausgewogene Teams (Gender balance)
Für den Fall, dass punktgleich bewertete Projektvorschläge in eine Rangreihenfolge zu bringen sind, müssen Hilfskriterien hinzugezogen werden. So kommt es, dass die Geschlechter-Ausgewogenheit in der Teamzusammenstellung das Zünglein an der Waage sein kann – das ist in der Vergangenheit tatsächlich schon vorgekommen! Während die "Gender balance" hier im alten Rahmenprogramm noch an vierter Stelle stand, ist dieses Kriterium nun an die dritte Stelle aufgerückt.
Damit eine Bewertung hier möglich ist, wird im Antrag im Formularteil A2 (Participants) dazu aufgefordert, in der Liste der wesentlichen, bei Projektantrag bereits namentlich bekannten Beteiligten (Researchers involved in the proposal) deren Geschlecht anzugeben. Dabei wird nun erstmals im Formularteil die Möglichkeit gegeben, auch ein nicht-binäres Geschlecht anzugeben (male / female / non-binary).
Europäischer Forschungsraum: Gleichstellung der Geschlechter
Politischer Rahmen
Eines der großen Ziele der Europäischen Gemeinschaft ist die Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Dies gilt auch für die Bereiche Forschung und Innovation. Der Europäische Forschungsraum (EFR) ist eine Vision, mit der Wissenschaft und Innovation in Europa einen optimalen Rahmen bekommen soll. Der EFR soll Freizügigkeit der Forscherinnen und Forscher sowie freien Austausch von Wissen und Technologien ermöglichen. Für die Verwirklichung des EFR hat die Kommission in ihrer Mitteilung vom 17.07.2012 fünf Prioritäten definiert, an denen besonders zusammengearbeitet werden soll:
- Effektivere nationale Forschungssysteme
- Optimale länderübergreifende Zusammenarbeit und entsprechender Wettbewerb
- Ein offener Arbeitsmarkt für Forscherinnen und Forscher
- Gleichstellung der Geschlechter und Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts in der Forschung
- Optimaler Austausch von, Zugang zu und Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen, auch über den digitalen EFR.

Monitoring
Für jede Priorität werden Handlungsanforderungen an die Mitgliedstaaten, Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen, sowie an die Kommission gerichtet. Hauptsächlich soll die Verwirklichung des EFR bei den Mitgliedstaaten liegen. Die Fortschritte werden im Rahmen des European Monitoring Mechanism (EMM) überprüft und jährlich in einem EFR-Fortschrittsbericht festgehalten, der von der Europäischen Kommission veröffentlicht wird. Der erste EFR-Fortschrittsbericht ist 2013 erschienen und erscheint seitdem jährlich.
Aktuellster EFR-Fortschrittsbericht

Gleichstellung als neue Priorität
Seit 2012 ist "Gleichstellung der Geschlechter und Berücksichtigung des Gleichstellungsaspektes in der Forschung" eine Priorität im Europäischen Forschungsraum. Aus Sicht der Europäischen Kommission ist diese Priorität relevant, um "die ineffiziente Nutzung von kompetenten und hochqualifizierten Forscherinnen" zu beenden. In der Mitteilung stellt die Kommission fest, dass – obwohl die Zahl der Hochschulabsolventinnen stetig steigt – nur wenige Frauen Führungspositionen bekleiden oder an Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Zudem wird die Berücksichtigung der Genderdimension in der Forschung als begrenzt bewertet.
Um diesem Zustand entgegenzuwirken und den "waste of talent" zu beenden, wurden in der Mitteilung folgende Aufforderungen an die Mitgliedstaaten, Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen, sowie die Europäische Kommission selbst formuliert.
Aufforderungen an die Mitgliedstaaten:
- Abbau der rechtlichen und sonstigen Hindernisse bei der Einstellung, dem Beschäftigungserhalt und dem beruflichen Fortkommen von Forscherinnen unter uneingeschränkter Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften über die Gleichstellung der Geschlechter
- Abbau der ungleichen Geschlechterverteilung bei Entscheidungsprozessen
- Stärkung der Geschlechterdimension in den Forschungsprogrammen
- Sich an Partnerschaften mit Förderorganisationen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen zu beteiligen, um einen kulturellen und institutionellen Wandel in der Gleichstellungsfrage zu erreichen (Chartas, Erfolgsvereinbarungen, Auszeichnungen);
Aufforderungen an die Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen:
Forschungsakteurinnen und -akteure sind aufgefordert, institutionelle Veränderungen in Bezug auf das HR-Management, die Finanzierung, die Entscheidungsfindung und die Forschungsprogramme durch Gleichstellungspläne zu verwirklichen. Im Einzelnen sollen Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen:
- Folgenabschätzungen / Audits von Verfahren und Methoden zur Ermittlung geschlechterspezifischer Ungleichheiten durchführen
- Innovative Strategien zur Behebung etwaiger Ungleichheiten umsetzen
- Ziele und Überwachung des Fortschritts anhand von Indikatoren festlegen
Aufforderungen an die Kommission:
In der Mitteilung vom 17.07.2012 kündigte die Kommission an, selbst "die Gleichstellung der Geschlechter und die Einbeziehung der Geschlechterdimension in die Programme und Projekte von Horizont 2020 bei der Konzeption, Durchführung und Bewertung" zu fördern. Wie dies im Einzelnen im aktuellen Rahmenprogramm für Forschung und Innovation aussieht hat, FiF für Sie zusammengestellt.
Die Kommission kündigte in der Mitteilung 2013 an, Empfehlungen an die Mitgliedstaaten mit gemeinsamen Leitlinien für institutionelle Veränderungen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorzuschlagen. Die sogenannten Gender Guidelines werden noch erwartet.
EFR-Strategie der Bundesregierung
Chancengleichheit in den Rahmenprogrammen
Gesetzliche Verankerung von Chancengleichheit in der EU
Eine Verpflichtung zur Herstellung und Wahrung von Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Lissabon-Vertrag, seit Ende 2009 in Kraft) verankert. Erstmals jedoch wurde die Gleichstellung von Männern und Frauen in dessen rechtlichem Vorgänger, dem Vertrag von Amsterdam, 1999 spezifische Aufgabe der Gemeinschaft. Diese Aufgabe gilt seither für alle Maßnahmen und Politikbereiche. Der Vertrag von Amsterdam zielte nicht nur darauf ab, Ungleichheiten abzuschaffen, sondern auch Gerechtigkeit und Chancengleichheit aktiv herzustellen. Alle Politikfelder - also auch Forschung und Innovation - müssen seitdem aktiv zur Gleichstellung von Frauen und Männern beitragen. Die Europäische Kommission hat zur Erreichung dieses Ziels die Strategie des Gender Mainstreaming angenommen. In einem im März 2017 veröffentlichten Fact Sheet des Europäischen Parlaments sind die rechtlichen Grundlagen sowie jüngere Aktivitäten der Europäischen Union in Sachen Chancengleichheit zusammen gestellt.
Erste Kommissionsmitteilung
1999 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Mitteilung "Frauen und Wissenschaft - Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung", die allgemein als Startschuss für dieses Thema auf EU-Ebene gilt. Die Bemühungen der Europäischen Kommission im Rahmenprogramm konzentrierten sich auf folgende Punkte, die im Wesentlichen bis heute Bestand haben:
- Die Beteiligung von Frauen innerhalb des gesamten Evaluierungs-, Konsultations- und Implementierungsprozesses sollte auf mindestens 40 % erhöht werden.
- Genderaspekte sollen in den Forschungsinhalten Berücksichtigung finden ("Integration der Genderdimension").
- Das Verständnis des Themas Wissenschaft und Geschlecht sollte verbessern werden (z. B. Ausschreibungen im Bereich 'Wissenschaft in der Gesellschaft', später 'Wissenschaft mit der und für die Gesellschaft').
Differenzierung Genderdimension und Chancengleichheit in Forschungsprojekten
In der EU-Forschung wird zwischen Chancengleichheit und Genderdimension in der Forschung unterschieden. Chancengleichheit im Forschungsprojekt bedeutet eine angemessene Beteiligung beider Geschlechter, aber auch die Schaffung von Rahmenbedingungen, die für gleiche Karrierechancen für Männer und Frauen sorgen.
Die Genderdimension im Forschungsinhalt betrifft die inhaltliche Ausgestaltung von Forschungsprojekten. Hier soll die Frage gestellt werden, ob und in welcher Weise sowohl das biologische als auch das "soziale Geschlecht" (gesellschaftliche Zuschreibungen) für Ziele und Methodologie relevant sind. Beispielsweise beziehen viele Forschungsprojekte Menschen als Forschungssubjekte ein, gehen dabei jedoch von Durchschnittswerten aus – die wiederum in der Vergangenheit oft nur auf männlichen Probanden beruhten. Es gibt aber keine universell geltende, neutrale Person.
Die Berücksichtigung dieser Unterschiede hat Auswirkungen auf Forschung und Erkenntnis; die Nichtberücksichtigung von Probandinnen, Konsumentinnen, Nutzerinnen etc. kann zur Folge haben, dass Ergebnisse nur unzureichenden Nutzen bringen und Exzellenz gefährden, denn Exzellenz setzt die vollumfängliche Betrachtung eines Problems voraus. Im Umkehrschluss trägt die sorgfältige Überprüfung und – bei Vorhandensein – Einbeziehung von Genderaspekten in ein Forschungsprojekt zu dessen Qualität bei. Beispiele für die erfolgreiche Untersuchung und Integration einer Genderdimension liefert das Projekt "Gendered Innovations", das gemeinsam von der EU und der US-amerikanischen Stanford University initiiert wurde.
In welcher Weise Chancengleichheit und Gender im aktuellen Rahmenprogramm für Forschung und Innovation (Horizont 2020) eingebettet sind, erfahren Sie hier.
Links zu weiteren Tools und Videos sowie Dokumenten zu Gender in der Forschung

Historie: 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (2007-2013)
Im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm findet Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern Niederschlag in den Zielen und den offiziellen Dokumenten. Angestrebt wird grundsätzlich eine stärkere Beteiligung von Wissenschaftlerinnen in EU-Forschungsprojekten sowie nach Möglichkeit die Berücksichtigung genderspezifischer Aspekte in Forschungsvorhaben. Genderrelevante Bezüge in den einschlägigen Rechtsdokumenten des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms hat FiF in einem Papier zusammengetragen. In Anträgen für Verbundprojekte und Exzellenznetze wird unter dem Punkt "Consideration of gender aspects" dazu aufgefordert, gleichstellungsfördernde Maßnahmen im Rahmen des angestrebten Projekts aufzuführen. Während der Vertragsverhandlungen ist es Aufgabe der Project Officers der Europäischen Kommission, diese Thematik aufzugreifen. Hinweise für Aktivitäten zugunsten der Chancengleichheit finden sich im Appendix 7 der Negotiation Guidance Notes. Hilfestellung bei der Einführung und Umsetzung von gendersensiblen Aspekten geben die 2009 veröffentlichten "Gender Toolkits". Es gibt ein Einführungsmodul zu Gender allgemein, das auch eine Checkliste enthält, mit deren Hilfe Fragen zur Gendersensibilität eines Projekts geklärt und angeregt werden können. Neun weitere Toolkits enthalten Fallbeispiele zu folgenden Forschungsbereichen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms:
- Gesundheit (Thema 1 im Spezifischen Programm Kooperation)
- Lebensmittel, Landwirtschaft, Fischerei und Biotechnologie (Thema 2 im Spezifischen Programm Kooperation)
- Nanowissenschaften, Werkstoffe und neue Produktionstechnologien (Thema 4 im Spezifischen Programm Kooperation)
- Energie (Thema 5 im Spezifischen Programm Kooperation)
- Umwelt (Thema 6 im Spezifischen Programm Kooperation)
- Verkehr (Thema 7 im Spezifischen Programm Kooperation)
- Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften (Thema 8 im Spezifischen Programm Kooperation)
- Wissenschaft in der Gesellschaft (Spezifisches Programm Kapazitäten)
- Internationale Kooperationen (Spezifisches Programm Kapazitäten)
Historie: 6. EU-Forschungsrahmenprogramm (2002 - 2006)
1. Beteiligung von Wissenschaftlerinnen als Evaluierungskriterium
Die Zahl der Frauen in Wissenschaft und Forschung zu erhöhen ist ein wichtiger Punkt. Aus diesem Grund wurde die Beteiligung und Förderung von Wissenschaftlerinnen in Forschungsprojekten als Sub-Kriterium zweier Evaluierungskriterien eingeführt:
- Qualität des Konsortiums
- Wissenschaftliche und technologische Exzellenz des Forschungsantrages
Innerhalb der Prüfung des Evaluierungskriteriums "Qualität des Konsortiums" werden Antragstellende gebeten detailliert Auskunft über die Zahl der in ihren Projekten teilnehmenden Forscherinnen zu geben. Das Evaluierungsgremium wird prüfen ob die Beteiligung von Wissenschaftlerinnen in einem gegebenen Antrag im Vergleich zum Rekrutierungspotential in dem jeweiligen Fachgebiet akzeptabel ist. Ebenso wird das Gremium bewerten (dies für Integrierte Projekte und Exzellenznetzwerke) wie innerhalb des Projektes die Einbindung / Förderung/ Unterstützung von Wissenschaftlerinnen vonstatten gehen soll. Sollten Forschungsprojekte gleiche Punktzahlen erzielen, kann das Sub-Kriterium "Beteiligung von Wissenschaftlerinnen" dazu dienen, sie voneinander zutrennen.
2. Berücksichtigung der Genderfrage in den Forschungsinhalten
Innerhalb des Evaluierungskriteriums "Wissenschaftliche und technologische Exzellenz des Forschungsantrages" als Subkriterium die Berücksichtigung von Genderaspekten in den Forschungsinhalten geltend gemacht werden. Genderfragen müssen in der Forschung berücksichtigt werden, es sei denn das Bewerbungskonsortium demonstriert, dass die Berücksichtigung dieser Fragen für die Behandlung ihres Forschungsthemas nicht geeignet ist. Dies kann durch stichhaltige Begründung im Antrag selbst oder durch die Referenz zu vorangegangenen wissenschaftlichen Publikationen geschehen, die nicht "gender biased" waren und einem Peer-Review-Verfahren unterzogen worden sind.
Um zu betonen, dass die Genderfrage als Analysekategorie für alle Forschungsgebiete relevant ist, wurde in den Erwägungsgründen (Präambel) des 6. Rahmenprogramms, sowie in der Einführung zu den einzelnen thematischen Prioritäten die Genderfrage als durchgängiges Querschnittsthema verankert:
Genderunterschiede sind insbesondere in der Gesundheitsforschung zur Bekämpfung von Krankheiten relevant, sowie in der Genomforschung und ihrer Anwendungen für die Gesundheit
Im Bereich Informationstechnologien bestehen Genderdisparitäten auf Nutzerebene und auf dem Arbeitsmarkt. Anzunehmen, dass die Informationstechnologien neutral sind, ermöglicht einen primär männlichen Einfluss (male bias) in der technologischen Forschung und Entwicklung, was die Gendergerechtigkeit in diesem Bereich gefährdet.
Für die Materialforschung für den biomedizinischen Sektor können genderspezifische Bedürfnisse relevant sein
Genderbedingte Unterschiede sind für den Bereich "Lebensmittelsicherheit und Auswirkungen auf die Gesundheit" von Bedeutung, insbesondere wenn es um genetisch veränderte Organismen geht. Dies gilt auch für die Epidemiologie von lebensmittelbedingten Krankheiten und Allergien
Genderbedingte Unterschiede sind für den Entwurf und die Entwicklung nachhaltiger Technologien von Bedeutung, insbesondere für Sektoren wie Transport
Unterschiedliche Rollen und Verantwortlichkeiten sowie Zugang zur Ressourcenbasis sind für die Nachhaltigkeitsforschung relevant(Landmanagement, landwirtschaftliche Ressourcen und Waldnutzung, Wasserzyklus)
Entwicklungen der Wissensgesellschaft und neue Formen der Beziehungen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und den Institutionen in Europa haben signifikante genderrelevante Dimensionen.
Gender und Chancengleichheit in Horizont 2020
Die Kontaktstelle FiF hat die Referenzen, Regeln und Anforderungen zusammengestellt, die sich in den Dokumenten von Horizont 2020, dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation (2014 - 2020), in Bezug auf Gender und Chancengleichheit finden. Die Rechtstexte sowie Standard-Formblätter zur Antragstellung finden Sie in der Rubrik "Reference Documents" auf dem Funding & Tenders Portal.
Das Vademecum on Gender Equality der Europäischen Kommission nennt Punkt für Punkt die Verankerung von Gender und Chancengleichheit in allen Programmphasen, von der Integration im damaligen Arbeitsprogramm 2016 - 2017 über die Implementierung bis zur Programmevaluierung. Es enthält auch ein Glossar mit Definitionen der Europäischen Kommission, beispielsweise zu "sex" und "gender".
Rechtsgrundlage
Mit Artikel 16 enthält eine Verordnung, die ein Rahmenprogramm beschließt, erstmals dezidiert einen eigenen Artikel Chancengleichheit und Gender. Der Originaltext lautet: „Horizon 2020 shall ensure the effective promotion of gender equality and the gender dimension in research and innovation content. Particular attention shall be paid to ensuring gender balance, subject to the situation in the field of research and innovation concerned, in evaluation panels and in bodies such as advisory groups and expert groups. The gender dimension shall be adequately integrated in research and innovation content in strategies, programmes and projects and followed through at all stages of the research cycle.“
In Artikel 31 (Monitoring) verpflichtet sich die Kommission, die Implementierung von Querschnittsaspekten wie Chancengleichheit zu überprüfen/evaluieren.
In den Beteiligungsregeln zu Horizont 2020 wird sowohl auf das Prinzip der uneingeschränkten Gleichstellung von Männern und Frauen verwiesen als auch auf die Verpflichtung der Antragstellenden, im Antrag klar zu stellen, inwiefern Gender im Projekt (inhaltlich) eine Rolle spielt.
Implementierung
In der Musterzuwendungsvereinbarung (Model Grant Agreement) verpflichten sich Konsortien zum Einsatz für Chancengleichheit in ihrem Projekt. Wörtlich heißt es dort: "33.1 Obligation to aim for gender equality. The beneficiaries must take all measures to promote equal opportunities between men and women in the implementation of the action. They must aim, to the extent possible, for a gender balance at all levels of personnel assigned to the action, including at supervisory and managerial level."
Neu ist, dass der Zielwert für beratende Gremien von 40 auf 50 % erhöht wurde. In jedem dieser Gremien soll mindestens eine Person mit Genderexpertise sein, die Genderexpertinnen und –experten sollen sich regelmäßig treffen.
Ressourcen wie die Gender Toolkits, Projekte mit Fallstudien wie "Gendered Innovations", werden prominenter als früher verlinkt und als Quellen zur Unterstützung beworben.
Für Ausschreibungen der sogenannten Starting Grants und Consolidator Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) gilt weiterhin, dass das Zeitfenster, das den Abstand der Antragstellenden von ihrer Promotion zwingend vorgibt (2 - 7 bzw. 7 - 12 Jahre), sich bei Elternschaft erweitert: Für Frauen gelten pauschal 18 Monate pro Kind, bei Männern die nachgewiesene Elternzeit. In den Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen zur Mobilitätsförderung gibt es weiterhin ein sogenanntes „Career Restart Panel“. Antragstellende können bestimmen, dass Ihr Antrag dort begutachtet wird, wenn sie in den letzten 12 Monaten nicht in der Forschung tätig waren (ob aus familiären oder beruflichen Gründen).
Ausschreibungen
Zahlreiche der sogenannten Topics in unterschiedlichen Forschungsbereichen nennen eventuelle Genderaspekte, die im Projekt zu untersuchen oder zu berücksichtigen sind. Beispielsweise kann in einer Ausschreibung stehen: "Gender aspects should be taken into account, avoiding stereotypes". Was im Ausschreibungstext steht, muss auch bearbeitet werden. Dadurch entsteht eine Verbindlichkeit für Antragstellende.
Im Funding & Tenders Portal können Sie durch eine Suche mit dem Stichwort "Gender" innerhalb von Horizont 2020 alle Ausschreibungen finden, welche die Berücksichtigung von Genderaspekten fordern.
Neben der fachübergreifenden Verankerung der Genderdimension in der Forschung werden im Bereich "Wissenschaft mit der und für die Gesellschaft" (Science with and for Society) Projekte gefördert, die die Gleichstellung von Frauen und Männern in Forschung und Innovation unterstützen.
In Deutschland berät die Nationale Kontaktstelle (NKS) "Wissenschaft mit der und für die Gesellschaft" zu diesem Förderschwerpunkt.
Beispiele für Ausschreibungen mit Genderdimension aus dem Arbeitsprogramm 2018-2020
Topic: Effective Industrial Human-Robot Collaboration: (Proposals need also to take into account Social Sciences and Humanities (SSH) elements regarding human-related barriers for the uptake of smart mechatronic systems including robot technology in industrial environments such as ergonomics, user experience, comfort, trust, feeling of safety and liability in modern production facilities, taking into account age and gender aspects. (Topic identifier DT-FOF-2-2018)
Topic: Smart and healthy living at home: Regulatory aspects and legal aspects of data ownership should be addressed. Relevant ethics and gender issues should be taken into account. (Topic identifier DT-TDS-01-2019)
Topic: Demographic change and participation of women in transport: Societal changes are demanding a much higher attention to specific groups of users with specific needs and expectations for mobility. Only a disaggregated analysis can lead to the satisfaction of all citizens, thus ensuring a large as possible integration of all parts of the population in the society. Women account for half of society, but the specific needs linked to their physical and social characteristics have not been sufficiently assessed. The resulting inequalities in mobility opportunities therefore need to be thoroughly explored.(Topic identifier MG-4-3-2018)
Topic: Inclusive and sustainable growth through cultural and creative industries and the arts: The impact of employment patterns, also considering its gendered dimensions, digitisation, financing models, tax incentives and IPR protection across sectors and the impact of national and regional Smart Specialisation Strategies should be addressed.(Topic identifier TRANSFORMATIONS-06-2018)
Auf Antragsebene
Im Standard-Formblatt (Standard Template) für die Beantragung von 'Research and Innovation Actions' sowie 'Innovation Actions' in Horizont 2020 findet sich unter dem Punkt "Exzellenz" eine Anforderung zu Gender im Projekt: "Where relevant, describe how sex and / or gender analysis is taken into account in the project's content." Es folgt eine kurze Differenzierung von biologischem und sozialem Geschlecht und eine Verlinkung zum Projekt "Gendered Innovations".
Wenn Gender-Trainings in einem Projekt eingeplant sind, können die Kosten dafür abgerechnet werden.
Bei der Begutachtung
Nach erfolgter Begutachtung gibt es eine Anweisung zum Verfahren bei Punktegleichstand. Projekte werden im Hinblick auf folgende Aspekte verglichen (in dieser Reihenfolge): Anträge, die Lücken im Arbeitsprogramm schließen, Anträge mit mehr Punkten bei „Exzellenz“ und dann „Impact“ (umgekehrt etwa bei Innovation Actions), Budget für KMU, Geschlechterverhältnis unter den zentralen Projektpersonen (Work Package Leader, Task Leader, Koordinator/in), andere Faktoren, beispielsweise EU-Ziele.
Mehr zu Evaluierung enthält Anhang H des Arbeitsprogramms 2018-2020.
Weiter gilt ein Zielwert von mindestens 40 % Beteiligung des jeweils unterrepräsentierten Geschlechts auch bei der Begutachtung. Dies ist keine verbindliche Quote. Die Kommissions- oder Agenturangestellten, die die Gremien zusammensetzen, sollen neben der Ausgewogenheit der Geschlechter auf andere Aspekte wie geografische Ausgewogenheit, Industrie, internationale Dimension (über Europa hinaus) achten.
Mehr über Gutachterinnen in Horizont 2020
